Die neuen Evangelikalen

Die neuen Evangelikalen

Entgegen einer verkürzten öffentlichen Wahrnehmung ist »der« Evangelikalismus alles andere als einheitlich. Vor allem die letzten Jahre haben weltweit Spannungen und Risse zu Tage gefördert, die nicht mehr zu übersehen sind. In dieser Folge reden wir darüber, dass es nicht eine neue, einheitliche evangelikale Strömung gibt, sondern ein Phänomen der Auffächerung der evangelikalen Bewegung insgesamt. Evangelikale sind bei weitem nicht alle fundamentalistisch und rechts. Daneben gibt es auch: Linksevangelikale, die soziale Gerechtigkeit und Umweltschutz als wesentliche Herausforderungen für das christliche Zeugnis in Wort und Tat erkennen; moderne Evangelikale, die sich um eine Inkulturation des Evangeliums in ihrer Kultur bemühen (Willow Creek, Saddleback); schließlich das gänzlich uneinheitliche Feld von progressiven Evangelikalen, die als post-, exevangelikal oder emergent bezeichnet werden. Diese Progressiven haben sich in den USA so grundsätzlich vom Fundamentalismus und Nationalismus breiter Kreise weißer Evangelikaler abgegrenzt, dass sie sich oft selbst nicht mehr sicher sind, ob und wie weit sie noch evangelikal in einem weiteren Sinne sind.

Pally, Marcia (2010): Die neuen Evangelikalen in den USA. Freiheitsgewinn durch fromme Politik, Berlin.

Vor zehn Jahren glaubte Marcia Pally die Dominanz der christlichen Rechten und des Fundamentalismus für beendet erklären zu können. Neue Evangelikale (Tony Campolo, Shane Claiborne, David Gushee, Jim Wallis, Greg Boyd, Rick Warren, Bill Hybels etc.) hätten sich abgewandt vom Kulturkampf der religiösen Rechten, sie geben sozialem Engagement einen zentralen Stellenwert und setzen sich für eine Modernisierung der Geschlechterverhältnisse ein. Aus heutiger Sicht hat Pally die Dominanz der christlichen Rechten im weißen Evangelikalismus unterschätzt. Trotzdem ist ihr Buch gerade jetzt auch noch lesenswert. Denn die genannten Akteure sollte man neben der Mehrheit weißer evangelikaler Trumpwähler nicht übersehen.

 

Sider, Ronald J. (1995): … denn sie tun nicht, was sie wissen. Die schwierige Kunst, kein halber Christ zu sein, Moers: Brendow Verlag.

Ron Sider verkörpert neben Jim Wallis,Rene Padilla und Samuel Escobar seit 50 Jahren den Strang linksevangelikaler Impulse. Weltweit haben die Versöhnung von Evangelisation und sozialer Aktion eine größere Anerkennung gefunden, als es in den USA oder auch in Deutschland der Fall ist.

 

Warren, Rick (2002): Leben mit Vision. Wozu um alles in der Welt lebe ich? Asslar: Gerth Medien.

Dieses erstmals 2002 erschienene Buch hat inzwischen eine Weltauflage von 50 Millionen Exemplaren; und gehört damit zu den meistverkauften Büchern des 21. Jahrhunderts überhaupt. Zusammen mit dem Vorgängerbuch „Kirche mit Vision“ entfaltet Warren eine modern-evangelikale Weltsicht, die sich durch Christusnachfolge, popkulturelle Offenheit und soziale Verantwortung auszeichnen.

 

Hybels, Bill, Lynne Hybels (1996) Ins Kino gegangen und Gott getroffen. Die Geschichte von Willow Creek. Holzgerlingen: SCM Verlag.

Die im Großraum Chicago befindliche Gemeinde Willow Creek wurde eine der größten Gemeinden der USA; und sie unterhält ein weltweit fast einmaliges Netzwerk verbundener Werke. Willow Creek ist mehr als eine moderne Verpackung für eine alte Botschaft.

 

Kimball, Dan (2003): Emerging Church. Die Postmoderne Kirche. Spiritualität und Gemeinde für eine neue Generation. Asslar: Gerth Medien.

Anfang des 21. Jahrhundert war die Emerging Church eine vielbesprochene neue Strömung unter jungen Evangelikalen. Dabei hat es sich nie um eine organisierte Bewegung oder gar Institution gehandelt. Dass heute nicht mehr so viel von der Emerging Church die Rede ist, hat weniger damit zu tun, dass sie sich aufgelöst hat, sondern damit, dass viele ihrer Impulse (Spiritualität, Pluralitätsfähigkeit, kzulturelle Offenheit) sich vielerorts durchgesetzt haben.

 

Frost, Michael, Alan Hirsch (2008): Die Zukunft gestalten: Innovation und Evangelisation in der Kirche des 21. Jahrhunderts.

Mit diesem Werk (Shaping of the Things to Come) haben Frost (Australien) und Hirsch (Südafrika) einen Meilenstein moderner evangelikaler Gemeindeentwicklung vorgelegt. Auf der Grenze von emergenten und linksevangelikalen Strömungen haben sie eine konstruktive Einstellung zu postmodernen Entwicklungen der modernen Kultur und zur sozialen Verantwortung in dieser Welt befördert.

 

McLaren, Brian (2017): The Great Spiritual Migration: How the World’s Largest Religion is Seeking a Better Way to Be Christian, New York: Penguin Random House.

Bell, Rob (2011): Das letzte Wort hat die Liebe. Über Himmel und Hölle und das Schicksal jedes Menschen, der je gelebt hat. Gießen: Brunnen Verlag.

Brian McLaren und Rob Bell begannen jeweils als Pastoren und Autoren progressiv-evangelikaler Ausrichtung und wurden die bekanntesten Vertreter der sogenannten Emerging Church. Beide sind je länger je mehr aus dem nordamerikanischen Evangelikalismus ausgegrenzt worden, weil sie in vermeintlichen Schlüsselfragen wie der Ablehnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften nicht mehr auf Linie geblieben sind.

 

Gushee, David (2020): After Evangelicalism. The Path to a New Christianity, Louisville: Westminster John Knox Press.

Die aktuellste Darstellung zur Krise der US-Evangelikalen und zu postevangelikalen Entwicklungen.

 

Campolo, Tony, Claiborne, Shane (2014): Die Jesus Revolution. Was passiert, wenn wir ihn beim Wort nehmen. Mit einem Vorwort von Michael Diener. Asslar: Gerth Medien.

Eine der wichtigsten Veröffentlichungen der Linksevangelikalen in deutscher Sprache. Das Vorwort von Michael Diener zeigt, welche Relevanz diese Fragen für den deutschen Sprachraum haben.

 

Evans, Rachel Held (2010): Faith Unraveled. How a Girl who knew all the Answers learned to ask questions. Grand Rapids: Zondervan.

Die viel zu früh verstorbene Rachel Held Evans (1981-2019) beschreibt in diesem Buch berührend wie erfrischend, dass sie ihren fundamentalistischen Glauben nicht verlassen hat, um sich der am schnellsten wachsenden Weltanschauungsgruppe in den USA anzuschließen: den Agnostikern bzw. Atheisten. Vielmehr verließ sie die religiöse Enge ihrer Jugend, um Jesus und den Gott der Bibel noch einmal ganz neu  zu suchen und zu finden.

 

Zur Geschichte von John Ortberg (Menlo Church, San Francisco) siehe die kundige Darstellung und die grundsätzlichen Anfragen an die Leitungskultur evangelikaler Gemeinden von Philipp Greifenstein:

Nobody’s perfect: Offene Fragen nach dem Rücktritt von John Ortberg